Genomik trifft auf Einzelzellen: LIMES und DZNE kooperieren. Ein Interview mit Gründungsdirektor Prof. Joachim Schultze

In den letzten Monaten wurde eifrig daran gearbeitet, in Bonn eine schlagkräftige neue Einheit für Einzelzell-Genomik und Epigenomik zu entwickeln. Prof. Dr. Joachim Schultze wird als Gründungsdirektor diese neue Einheit leiten. Wir haben ihn zu dieser neuen Entwicklung befragt.

[Translate to englisch:] Kristian Händler am Roboter für die Einzelzell-Sequenzierung

Herr Professor Schultze, wir haben gehört, dass es neue Entwicklungen in der Genomik im Allgemeinen aber auch hier in Bonn gibt. Was hat es damit auf sich? 

In der Tat hat sich fast unbemerkt eine neue genomische Revolution ereignet. Wir stehen zwar erst ganz am Anfang, aber diese technologische Entwicklung wird nicht nur die genomische Forschung, sondern meiner Meinung nach die Lebenswissenschaften insgesamt verändern. Was ist passiert? Schon seit den Anfängen der Genomforschung war immer wieder formuliert worden, dass es eigentlich wünschenswert wäre, wenn man ein ganzes Genom, ein ganzes Transkriptom oder auch ein Epigenom einer einzelnen Zelle analysieren könnte. Davon war man anfangs weit entfernt. Für die anfänglichen Sequenziermethoden brauchte man Millionen von Zellen, um ausreichend Material für genomweite Untersuchungen bereitstellen zu können. Dies hat sich jetzt dramatisch verändert. In der Tat sind wir heute in der Lage, das Genom und insbesondere das Transkriptom einzelner Zellen zu analysieren. Insbesondere bei der Sequenzierung des Transkriptoms einzelner Zellen, auch als „single cell RNA-sequencing“ bekannt, sind die technischen Fortschritte gewaltig. Inzwischen sind verschiedenste solcher Technologien beschrieben worden, einige davon wurden bereits kommerzialisiert. Allerdings gibt es noch keine Einzelzell-Technik für die RNA-Sequenzierung, mit der man alle wissenschaftlichen oder auch medizinischen Fragen beantworten könnte.

Welche Entwicklung hat sich nun am LIMES-Institut ergeben?

Wir haben die Entwicklung dieser Einzelzell-Techno-logien von Anfang an mit großer Begeisterung verfolgt und haben uns dann vor etwa zwei Jahren entschlossen, eine der single cell RNA-Sequencing Technologien hier am LIMES-Institut zu etablieren. Dabei handelt es sich um ein Verfahren mit einem interessanten Namen: MARS-Sequencing. Das steht für Massive Parallel Single-Cell RNA-Sequencing. Die Methode wurde ursprünglich am Weizmann-Institut in Israel vor etwa 2 bis 3 Jahren entwickelt, und wir haben diese Methode seit etwa einem Jahr auch am LIMES etabliert. Nach unserem Kenntnisstand sind wir damit in Deutschland, wahrscheinlich sogar in Europa die einzigen. Bei dieser Methode werden einzelne Zellen mit Hilfe unseres FACS-Sorters in 384-well Platten sortiert. Diese Platten sind vorher mit Hilfe eines Roboters mit Lysepuffer und einer Oligonukleotid-Barcode-Bibliothek bestückt worden. Mit Hilfe der Barcodes können wir später jede Zelle und jedes Transkript einer Zelle identifizieren. Das ermöglicht es uns auch, einzelne Transkripte zu zählen. Mit Hilfe eines Roboters werden die Transkripte der einzelnen Zellen anschließend zusammengeführt und für die Sequenzierung vorbereitet. Die Methode erlaubt uns, die Transkriptome einiger hundert bis einiger tausend Zellen zu sequenzieren. Wir haben die Methode inzwischen in mehreren Projekten erfolgreich anwenden können, teilweise in eigenen Projekten, teilweise in Kooperationsprojekten. Das erste Projekt ist inzwischen zur Publikation eingereicht worden und das zweite steht kurz vor Einreichung. 

Welche Fragen kann man mit dieser Technologie beantworten?

Das ist noch gar nicht abzuschätzen, aber der Einfluss von genomischen Technologien auf Einzelzellebene auf die gesamte Wissenschaftslandschaft wird gewaltig sein. Bisher sind wir davon ausgegangen, dass wir Zellen einer bestimmten Art entweder aufgrund ihrer Lokalisation, ihrer Morphologie oder einiger weniger für die jeweilige Zellart typischer Markerproteine eindeutig identifizieren und klassifizieren können. Insbesondere in der Immunologie, aber auch in der Stammzellforschung ist dieses Grundprinzip in den letzten Jahren zunehmend ins Wanken geraten. Allein die Messung von ein bis zwei Dutzend Markerproteinen auf vormals als homogen angenommenen Immunzellpopulationen hat uns vorgeführt, dass es mit der Homogenität von anscheinend gleich aussehenden Zelltypen nicht weit her ist. Akzeptiert man diese zelluläre Heterogenität, ist es notwendig Methoden anzuwenden, die völlig unvoreingenommen erlauben, die wahre Populationsstruktur einer heterogenen Zellmenge zu beschreiben. Und genau das können Single Cell RNA-Sequencing Methoden leisten. Das ist auch das Revolutionäre daran.  

Es gibt bereits einige sehr gute Beispiele, welchen Einfluss diese Technologie auf unser biologisches Ver-ständnis hat. So konnte mittels single Cell RNA-Sequen-cing gezeigt werden, dass embryonale Stammzellen keine homogene Zellpopulation sind, sondern in sechs Funktionszuständen vorliegen, die unterschiedlich potent hinsichtlich Differenzierung sind. Im zentralen Nervensystem wurden mit dieser Methode völlig neue Neuronen-Typen entdeckt. Die Funktionsweise der Myelopoese wurde neu definiert, und zuletzt konnte die zelluläre Heterogenität bösartiger Hauttumoren aufgedeckt werden. Diese ist nicht nur wissenschaftlich von höchster Relevanz, sondern hat auch direkte klinische Implikationen, da Therapieentscheidungen durch die bessere Kenntnislage der Heterogenität eines Tumors verändert werden können. 
Das alles ist nur die Eisbergspitze einer völlig neuen Entwicklung. Für die Immunologie erwarte ich, dass wir die Nomenklatur der immunologischen Zelltypen nochmals neu schreiben werden. 

Welche Rolle spielt jetzt das DZNE bei dieser Entwicklung?

Diese technologische Revolution in der Genomik ist selbstverständlich unseren Kollegen am DZNE auch nicht verborgen geblieben, und so gab es auch dort Bestrebungen, in diesen wichtigen Bereich zu investieren. Es macht aber langfristig keinen Sinn, an einem Standort wie Bonn solche hochkomplexen Verfahren unabhängig voneinander zu entwickeln und zu betreiben. Und so bin ich unserem Rektor Michael Hoch sowie dem Vorstand des DZNE Pierluigi Nicotera sehr dankbar, dass sie gemeinsam die Idee entwickelt haben, hier gemeinschaftlich voranzuschreiten. Für mich ist es eine besondere Ehre, als Gründungsdirektor dieser Initiative eine neue Einheit, die sogenannten Single Cell Genomics and Epigenomics Unit am DZNE und an der Universität Bonn, leiten zu dürfen. Mit der Fertigstellung des neuen DZNE-Gebäudes auf dem Venusberg werden wir auch zusätzliche Räumlichkeiten für die Entwicklung dieser Unit beziehen können. Unsere Aktivitäten am LIMES-Institut, insbesondere unsere Bioinformatik bleibt aber unbedingt bestehen. 

Wer ist noch am Aufbau dieser Unit beteiligt?

Ohne entsprechende Unterstützung, Expertise und Interesse ist es in der Tat nicht möglich, eine solche Unit zu entwickeln. Ich bin deshalb auch sehr froh, dass wir mit dem Rektor der Universität und dem Vorstand des DZNE die bestmögliche Unterstützung seitens der beteiligten Institutionen haben. Neben meiner eigenen Arbeitsgruppe sind aber noch weitere Gruppen involviert. Andreas Schlitzer mit seiner eigenen Arbeitsgruppe bringt sehr viel KnowHow und Expertise im Bereich Single Cell Transcriptomics ein, da er diese Technologie bereits in Singapur angewandt hat. Marc Beyer und seine Arbeitsgruppe haben gemeinsam mit Kristian Händler enorme Aufbauarbeit bei der Etablierung der Robotics geleistet. Thomas Ulas koordiniert unsere Aktivitäten in der Bioinformatik, und ohne die engagierte Mitarbeit unserer PostDocs, PhD-Studenten, Master-Studenten und Laborrotanden wäre das Ganze nicht zustande gekommen. Am DZNE haben wir mit Sach Mukherjee einen hervorragenden Wissenschaftler im Bereich Computation, der ebenfalls eng mit der Unit Zusammenarbeit. Darüber hinaus entwickelt sich bereits ein Genom-Netzwerk innerhalb des DZNE, so dass wir unsere Kontakte mit anderen DZNE-Standorten ausbauen können. Das sind bereits sehr gute Startvoraussetzungen für eine erfolgreiche Entwicklung der Unit.  

Wie kann man als Wissenschaftler am LIMES-Institut Zugang zu dieser Technologie bekommen?

Grundsätzlich handhaben wir den Zugang genauso wie wir es mit bisherigen Transkriptom-Projekten gehalten haben. Wir bieten die Technologie nicht als Service-Leistung an, sondern wir bieten Kooperationen, bei denen wir als gleichwertige Partner für das Design, die Durchführung und die Auswertung der single cell RNA-sequencing Experimente innerhalb eines Projektes verantwortlich zeichnen. Also im Prinzip läuft alles genauso wie bisher: einfach mich ansprechen, dann diskutieren wir gemeinsam die Fragestellung und das wei-tere Prozedere der Zusammenarbeit. 

Wie lange dauern diese Experimente? 

Im Augenblick dauern die Experimente noch sehr lange. Wir sind noch ganz am Anfang der Optimierung. Wir reden bei den meisten Projekten von Erstkontakt bis zum Abschluss der Analysen immer noch von einigen Wochen bis Monaten. Das ist in der Tat noch eine unserer Aufgabenstellungen. Die Dauer der Experimente ist im Wesentlichen durch die Infrastruktur und die Zahl der Stellen in der Bioinformatik definiert, denn diese Experimente sind weiterhin sehr aufwendig, bedürfen langwieriger und aufwendiger bioinformatischer Analysen und können deshalb nicht von heute auf morgen erledigt werden. Hinzu kommt, dass der Bedarf im Augenblick schneller steigt, als es unsere jetzigen Kapazitäten zulassen. Das ist ein weiterer wichtiger Grund, hier synergistisch mit beiden Partnern, dem DZNE und der Universität Bonn gemeinsam Wege zu finden, wie wir noch effizienter werden können, um den Bedarf an beiden Institutionen bedienen zu können. 

Hat die Technologie auch Limitationen?

Das ganze Feld der Einzelzell-Genomik steckt noch in den Kinderschuhen. Allein die Vielzahl der entwickelten Technologien und damit auch der Biotechnologie-Unternehmen, die Lösungen anbieten wollen, zeigt, dass eine optimale Technologie noch nicht gefunden ist. Wir versuchen diese Situation dadurch zu lösen, dass wir im Augenblick neben MARS-Seq zwei weitere Technologien in unserer Unit etablieren. Dabei zielen wir auf drei wesentliche Aspekte ab: 1. Die Experimente müssen günstiger werden. 2. Wir müssen noch mehr Zellen pro Experiment messen können, und 3. Wir wollen eine möglichst effiziente Technologie hinsichtlich der Information, die wir für jede Zelle bekommen. Noch vor Bezug unsere neuen Räumlichkeiten am DZNE werden wir mit Bereitstellung der alternativen Technologien diese Aspekte adressieren können. 

Was kommt als nächstes?

Unser nächstes Ziel ist ein erfolgreicher Umzug eines Teils unserer Unit in das neue DZNE-Gebäude und eine weitere erfolgreiche Entwicklung der Unit an zwei Standorten. Technologisch haben wir einige weitere spannende Entwicklungen in der Pipeline, die wir in den nächsten Monaten ebenfalls umsetzen wollen. 
Gleichzeitig müssen wir die laufenden Projekte erfolgreich abschließen und zur Publikation bringen. Und ein ganz spannendes Thema ist die weitere Verbesserung und Entwicklung unserer bioinformatischen Möglichkeiten, aber dazu vielleicht ein andermal mehr. 

Vielen Dank für das Gespräch.